Montag, 18. Dezember 2006

[Exklusiv] Das Stufensystem in Dichtung und Legende: eine tiefenpsychologische Betrachtung

Kürzlich kam im Disputorium die Frage auf, ob es zeitgemäß sei, mit Stufen zu spielen. Auf den praktischen Nutzen von Stufen für Spieler und Spielleiter im Fantasy-tARS - sowie selbst DSA - als Machtindikator von Spielerpersonnagen und Gegnern möchte ich hier nicht eingehen, die liegen auf der Hand. Als seien (Helden-, Charakter-, Personnagen-)Stufen veraltetes ein Kunstprodukt von Gary Gygax! Dabei handelt es sich um ein System, mit dem bereits Dichter und Barden seit altersher arbeiten.
Jawohl! Denken wir einmal an die Sagen um den heiligen Gral und die Ritter der Tafelrunde! Das Wort Gral, vom lateinischen gradalis (Stufenkelch), deutet bereits auf eine Erzählstruktur (ich verwende diesen Ausdruck bewusst) hin, welche vorsieht, dass der Held Erfahrungsstufen erklimmen muss, um bestimmte Aufgaben wachsender Schwierigkeit bewältigen zu können. Horst Oberleser* erläutert dies in seinem „Nachwort mit Gedanken zur tiefenpsychologischen Bedeutung des Gralsmythos’“ am Exempel Parzival. Dieser startet auf der Stufe des „heldenhaft entwickelten Ichs“ (entspricht RPG-Stufe 1), ist aber noch gänzlich unerfahren in der Welt. Er startet sogar namenlos und mit minimalistischer Vorgeschichte (vgl. Myrmidons Forderung nach amnesischen Waisenkindern im tARS). Entsprechend viel misslingt ihm zu Beginn (RPG: niedrige Fertigkeitswerte, vor allem in den gerne vernachlässigten nicht kampfbezogenen Kategorien), auch einfache Begegnungen mit NSCs wie Jeschute sind problematisch, doch nach und nach gelingt es ihm, mehrmals aufzusteigen, höfisches Benehmen zu erlernen zahlreiche Gegner zu besiegen und in die Tafelrunde aufgenommen zu werden (Stufe ca. 8-10). Die Aufgaben, die ihm zu Beginn Schwierigkeiten bereiteten, wären nun einfach (ohne Würfeln) für ihn lösbar, stattdessen steigert sich auch die Schwierigkeit: so versagt er in der Gralsburg, der Fischerkönig bleibt unerlöst. In der hiermit beginnenden eigentlichen Gralssuche-Kampagne wird er wieder durch ständige Hindernisse aufgehalten und muss in zahlreichen Nebenabenteuern Erfahrung sammeln, ebenso wie die anderen Ritter. Der unschlagbare Lancelot versemmelt sogar einen Rettungswurf und wird wahnsinnig.
Ach, was gäbe ich, um jetzt eine richtig tARSige Pendragon-Kampagne spielen zu können! Mit Stufensystem versteht sich.

*Quelle:
Roland Kübler: Die Sagen um Merlin, Artus und die Ritter der Tafelrunde; Stendel Verlag, Waiblingen, 1988.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das ist eine Begründung für Charakterentwicklung, aber keine für die starren Stufen wie sie bei bspw. bei D&D gegeben sind.
Man kann ja sogar (wie DSA und DA:Inquisitor es vormachen) Charaktere nach Stufen beurteilen ohne deswegen daran den Aufstieg zu fesseln.

Anonym hat gesagt…

Abgesehen davon ist deine Parzival-Interpretation mindestens ... fragwürdig. Der Held versagt nämlich fast ausschließlich in Bereichen, die im gesellschaftlichen bereich liegen, während seine Kampffertigkeiten von Beginn an im "Stufenbereich 15+" (sowohl DSA1-3 als auch D&D) anzusiedeln wären.
Deine Herleitung des Wortes "Gral" ist übrigens eine Minderheitenmeinung.

Anonym hat gesagt…

Ich war das gerade.

Anonym hat gesagt…

Stufen haben vor allem zwei Effekte:
1.) Sie erzwingen gleichmäßigere Charakterverbesserung.
2.) Damit einhergehend sind Charaktere ähnlicher Stufe vergleichbarer.

Letzteres ist besonders wünschenswert wenn man mit einem Challengerating spielt... Wenn der eine Shadowrun-Charakter mit 500 Karmapunkten Konsti und Feuerwaffen 15 hat und der andere trotz Konsti und Feuerwaffen 1 seine Punkte in Teezeremoniell, Stricken und Super Mario Bros zocken vergeudet hat dann sagt die Menge an Erfahrungspunkten nichts aus. Wenn aber beide durch ein Stufensystem dazu gezwungen werden gleichmäßig an Konsti, Kampffähigkeiten und sonstigen Fähigkeiten zuzunehmen, dann fällt die Kompetenzabschätzung deutlich leichter.

Natürlich sind mit Stufen auch andere Vorteile verbunden, z.B. schnelle Erkennbarkeit des Kompetenzlevels eines Charakters (besonders auf Cons praktisch) oder besserer Überblick bei der Charakterverbesserung (ich muss nicht alle Verbesserungsoptionen beachten, sondern nur die die beim Stufenaufstieg verfügbar sind), aber das sind die wesentlichen Punkte.

Natürlich haben Stufen auch Nachteile. Wie bei allen Design Patterns gilt: Kommt drauf an was man erreichen will.

Anonym hat gesagt…

Ja mich würden auch die Vorteile der Stufen abseits der Machteinschätzung und dessen Wachstum interessieren. Wozu können sie noch dienen?