Eine beliebte These unter DSA-Spielern besagt, das Gesinnungssystem von D&D schränke die Personnage zu sehr ein und sei unrealistisch. Doch worum geht es denn überhaupt bei der Gesinnung?
Das manichäische Prinzip der kosmischen Kräfte dürfte den Lesern geläufig sein: Es tobt der immerwährende Kampf zwischen Gut und Böse und der Mensch muss sich in seinem Leben für eine Seite entscheiden. Diese aus dem antiken Persien stammende Vorstellung hat das Christentum nachhaltig geprägt. Trotz ihrer Simplizität dient sie in unserer als real wahrgenommenen Welt als Untermauerung für Ideologien, welche zur Rechtfertigung von verheerenden Kriegen dienen.
Der Schriftsteller Michael Moorcock legte seinen Erzählungen vom Ewigen Helden Elric und seinem dämonischen Schwert Sturmbringer (es existieren übrigens mindestens drei verschiedene Rollenspiele, die darauf basieren; wer sie zuerst aufzählen kann, erhält einen PESA-Orden) einen anderen kosmischen Zweikampf zugrunde: den unbarmherzigen Kampf der Prinzipien von Ordnung und von Chaos um alle Welten und Dimensionen, worin Elric als Herold des Chaos-Lords Arioch eine zentrale Rolle spielt.
Das (A)D&D-Universum ist dagegen komplexer designt als das manichäisch-christliche oder das moorcocksche: seine Metaphysik beinhaltet sowohl die Gesinnungsachse gut-böse als auch rechtschaffen-chaotisch. Die sogenannten Äußeren Ebenen, also die Paradiese und Höllen der Götterwelten, sind nach den Kombinationen der Gesinnungspole und ihres neutralen Mittelpunktes aufgereiht und charakteristisch beschrieben, während Elementar- und Energieebenen die „Inneren Ebenen“ bilden und mit den Gesinnungen nichts zu tun haben. Mehr Informationen findet der geneigte Leser in den Boxen des Planscape-Settings.
Was bedeutet die Metaphysik des Multiversums und der Götter nun für die Personnage? Muss eine chaotisch-böse Personnage nun jedem Großmütterchen die Handtasche stibitzen? Muss sich ein rechtschaffen-neutraler Ritter dem Gesetz eines Tyrannen unterwerfen? Mit der Gesinnung wählt der D&D-Spieler ein übergeordnetes Denkschema, innerhalb dessen die Personnage ihre Entscheidungen trifft, nicht die Handlungsweise selber, welche nur von Umständen und persönlicher Veranlagung abhängen. So funktionieren übrigens auch die Persönlichkeitsarchetypen von Vampire: The Masquerade und Nachfolgespielen. Die chaotisch-böse Personnage hat sicher spektakulärere Ziele als Lebensunterhalt durch Handtaschenklau, falls sie nicht auf Wunsch des Spielers selber kleptoman veranlagt ist; der rechtschaffen-neutrale Ritter wird sich nach grundsätzlichen ethisch-religiösen Prinzipien oder einem Kriegerkodex richten, nicht den willkürlichen Anordnungen eines Lokaldespoten.
Die Gesinnung bereichert also die Personnage, da ihr ein Rahmen für konsistente Handlungsweise und eine Möglichkeit zum expliziten Rollenspiel gegeben wird, statt sie in ein enges Korsett der Spielerunfreiheit zu zwängen.
Mit Erstaunen dagegen erlebt man immer wieder zur Unmündigkeit erzogene DSA-Konditionnierte, welche unaufgefordert Intelligenz-Würfe für ihren Halbork durchführen und überlebenswichtige Entweder-Oder-Entscheidungen nur mit einem Zufallswurf entscheiden können. Es wäre für mich undenkbar, vor jedem Kampf eine Mutprobe würfeln zu müssen oder vor jedem offensichtlich fallengesicherten Goldschatz auf Goldgier, um mir dann vom Spielleiter ein lächerliches Verhalten entgegen Personnagenkonzept und Vernunft aufzwingen zu lassen.